Wie angekündigt besuchten wir als Vertreter*innen der Hellas-Solidarität Bochum vom 30. März bis zum 3. April 2016 Thessaloniki, um die im März von vielen Spender*innen erhaltenen 11.300 Euro direkt in Griechenland zugunsten der Geflüchteten einzusetzen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Spender*Innen! Ihr seid vorbildlich! Im folgenden Text möchten wir berichten, wofür wir die Gelder eingesetzt haben und wie unser Besuch in Thessaloniki verlief. Dabei schildern wir auch einige persönliche Begegnungen mit solidarischen Gruppen und Personen.
Direkt nach unserer Ankunft am Mittwochabend besuchten wir den „Solidarischen Frauentreff Thessaloniki“ (Χώρος Αλληλεγγύης Γυναικών) im Zentrum Thessalonikis. Dort wurden wir von verschiedenen Aktivistinnen, u. a. der Vorsitzenden Voula Taki, empfangen. Mit ihnen konnten wir uns über unsere Aktivitäten und insbesondere die Flüchtlingssituation in Idomeni, Thessaloniki und Umgebung austauschen. Der offene Frauentreff Thessaloniki wurde vor einigen Jahren gegründet, um die von der Eurokrise und der Kürzungspolitik in Griechenland besonders stark betroffenen Frauen und ihre Kinder zu unterstützen. Denn die Arbeitslosigkeit von ca. 25 Prozent trifft oft Frauen und führt damit besonders häufig zu Armut, zusätzlich leiden sie unter der gerade in Krisenzeiten ansteigenden häuslichen Gewalt. Aktuell liegt ein Schwerpunkt ihres Engagements in der Unterstützung von flüchtenden und migrierenden Frauen und ihren Familien.
Im Frauentreff lernten wir auch eine flüchtende Syrerin mit ihrer Tochter und ihrem Sohn kennen. Die Aktivistinnen organisierten und begleiteten einen Krankenhausbesuch für den an Diabetes erkrankten Jungen und brachten die Familie zwischenzeitlich bei sich privat unter. Der Mann und Vater befindet sich indes bereits als anerkannter Flüchtling mit einem älteren Sohn der Familie in Gelsenkirchen, die Mutter der Frau in Bochum. Aufgrund des Diabetes des Jungen war der Vater zunächst ohne seine Frau und die beiden jüngeren Kinder nach Deutschland gekommen. Die Aktivistinnen des Frauentreffs wollen sich nun gemeinsam mit der Familie beim deutschen Generalkonsulat in Thessaloniki für eine Familienzusammenführung einsetzen.
Am Donnerstagmorgen kauften wir zusammen mit Aktivistinnen des Frauentreffs Hygieneartikel, Trinkflaschen und Kinderkleidung im Wert von knapp 1.100 Euro und verteilten sie anschließend im Flüchtlingscamp Idomeni. Dazu nutzten wir den Stand der NRO PRAKSIS (s. u.) während der Essensausgabe. Die Situation im Camp war an diesem sonnigen und warmen Tag insgesamt ruhig, aber wir konnten die Anspannung unter den Geflüchteten spüren. Zum Zeitpunkt unseres Besuches hielten sich hier etwa 11.500 Geflüchtete und Migrant*innen auf, darunter sehr viele Kinder, die zum Teil unbegleitet und auf sich allein gestellt sind. Einen Großteil der Hilfe leisten, wie in allen nichtoffiziellen Camps in Griechenland, unabhängige Helfer*innen, sogenannte Freiwillige, ohne deren Einsatz die Situation in Idomeni unerträglich sein dürfte. Zweimal am Tag können sich die Flüchtlinge und Migrant*innen Essen an der zentralen Verteilstation abholen. Da dies aber nur reicht, um den schlimmsten Hunger zu stillen, bereiten sich viele Geflüchtete zusätzlich Essen auf Feuerstellen zu, die sie aus Blechkanistern und anderem Material improvisieren und vor den Zelten aufstellen.
In der Nacht von Samstag, den 1. April, auf Sonntag, den 2. April, soll es zum wiederholten Mal zu Auseinandersetzungen unter einigen Geflüchteten gekommen sein. Die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit nehmen angesichts der fehlenden Aussicht auf eine Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa und der schlechten Lebensbedingungen im Camp zu, hinzu kommen die psychische Belastung aufgrund des langen Aufenthalts in Lagern und die Traumata aus den Kriegs- und Fluchterlebnissen. Das Leben im Lager besteht häufig aus stundenlangem Anstehen an den Essensausgaben, bei Ärzten oder nach Dokumenten. Viele Flüchtende sind nun seit zwei Monaten den desaströsen Verhältnissen in Idomeni ausgesetzt. Entladungen aufgestauter Aggression und Frustration sind da unumgänglich. Gewollte oder zumindest in Kauf genommene Nebeneffekte einer Politik der geschlossenen Grenzen? Die aktuell von der griechischen Regierung offiziell avisierte Frist zur Räumung des Lagers Idomeni ist Ende April.
Neben den offiziellen Lagern, die vom Militär betrieben werden, wie das Lager im Hafen von Thessaloniki selbst, bei Nea Kavala und bei Kilkis (Cherso), bestehen in der weiteren Umgebung von Thessaloniki diverse informelle, „wilde“ Camps. Auf dem Weg nach Idomeni machten wir einen Stopp auch in einem solchen Camp, das sich auf dem Gelände einer Tankstelle bei Polikastro befindet und in dem etwa 800 Flüchtende leben. Wie wir erst nach unserer Rückkehr aus den Medien (u. a. Liveticker Eidomeni: http://livetickereidomeni.bordermonitoring.eu) erfuhren, begann dort am Samstag, den 2. April, eine weitere Blockade der Fernstraße E75 zwischen Thessaloniki und der FYRO Makedonien für LKW, die bis zum 3. April andauerte. Wie Neal McQueen, ein seit einigen Monaten aus Griechenland berichtender Fotograf, in seinem Blog ‚perilioushope‘ schreibt (http://periloushope.tumblr.com), ging der Protestaktion die Schließung des Doktorzeltes durch die griechische Polizei im Camp voraus. Am 4. April wurde dann laut verschiedener Quellen die E75 auch durch Flüchtende des Camps bei Idomeni auf Höhe des Hotels „Hara“ blockiert.
Am Freitag, den 1. April, trafen wir uns, begleitet von Voula Taki, mit der NRO PRAKSIS (Programs of Development, Social Support and Medical Cooperation) in einem ihrer Praxisräume in Thessaloniki und informierten uns über ihre Arbeit. PRAKSIS hat es sich zum Ziel gesetzt, den sozialen und wirtschaftlichen Ausschluss sozial schwacher Gruppen zu bekämpfen und deren persönliche und soziale Rechte zu verteidigen. Sie betreuen sowohl griechische Arme und Obdachlose, als auch Flüchtende, stellen Tages- und Dauerunterkünfte für Obdachlose und Asylsuchende und sichern darüber hinaus über verschiedene Polykliniken und mobile medizinische Einheiten deren medizinische Versorgung.
PRAKSIS erhielten von uns medizinisches Equipment, u. a. eine Babywaage und ein Blutdruckmessgerät, im Wert von 500 Euro zur Unterstützung einer mobilen medizinischen Einheit für Flüchtende in Idomeni und Thessaloniki, das wir in einer Apotheke in Thessaloniki gekauft hatten. Die weitere finanzielle Unterstützung in der Höhe von 1000 Euro für einen Einkauf zum Aufbau einer zusätzlichen mobilen medizinischen Einheit wurde an diesem Tag vereinbart.
Am Nachmittag kauften wir gemeinsam bei Bios COOP ein, einem kooperativen nonprofit Biosupermarkt in Thessaloniki, der überwiegend biologisch angebaute, gentechnikfreie Produkte aus der Umgebung Thessalonikis verkauft. Um die Produkte erschwinglich zu machen, umgeht Bios COOP den Zwischenhandel und arbeitet direkt mit der landesweit vertretenen „Greek Food Coop“ zusammen, in der sich Landwirtschaftskooperativen und kleine Produzenteneinheiten zusammengeschlossen haben, um qualitativ hochwertige, lokale Produkte zu günstigen Preisen bei gleichzeitig fairer Bezahlung der Produzenten herstellen zu können.
Die bei Bios COOP gekauften Lebensmittel im Wert von etwa 410 Euro werden von den Aktivistinnen vom Frauentreff eingesetzt, um Flüchtlingsfamilien zu versorgen, die beispielsweise aufgrund von Krankheit oder Schwangerschaft besonders gefährdet sind und deshalb privat bei Aktivistinnen des Frauentreffs untergebracht werden.
Nachdem wir bereits vor unserem Besuch in Thessaloniki ca. 4.800 Euro aus Spendengeldern für Flüchtende in Idomeni, für Zelte, Medikamente, Nahrungsmittel und Hygieneprodukte eingesetzt hatten, konnten damit nun also weitere ca. 4.530 Euro für diese Zwecke direkt in Nordgriechenland verwendet werden.
Vom Freitagabend bis zum Sonntag stand unsere Reise dann ganz im Zeichen der Sozialen Arztpraxen. Bei einem Abendessen mit Vertreter*innen der Sozialen Arztpraxis und Apotheke Arta (KIFA Arta), die von der Bochumer Hellas-Solidarität seit Juni 2015 regelmäßig unterstützt wird und die mit einer Delegation im Dezember letzten Jahres Bochum besucht hatte, tauschten wir am Freitagabend Informationen u. a. über die aktuelle Situation der Flüchtenden im staatlichen Flüchtlingslager Filippiada bei Arta und in Bochum aus. Die Aktivist*innen der KIFA Arta betreuen, über ihre Aufgaben in der solidarischen Krankenversorgung in Arta hinaus, Flüchtende in diesem, etwa 50 km südlich von Arta entfernten Camp (Filippiada). Für diesen Zweck stellten wir ihnen 2.000 Euro zur Verfügung, mit denen sie gerne einen Spielplatz für die Geflüchteten im Lager Filippiada bauen würden. Außerdem gaben wir der Sozialen Arztpraxis und Apotheke Arta im Namen der Hellas-Solidarität Bochum 1.500 Euro für die Belange der Arztpraxis, die wir bereits vor dem Spendenaufruf vom März zugunsten der Praxis eingesammelt hatten.
Am Samstagvormittag nahmen wir als Unterstützer*innen der Sozialen Arztpraxis und Apotheke KIFA Arta am gesamtgriechischen Treffen der griechischen solidarischen Arztpraxen in Thessaloniki teil, dessen Abschlussdokument u.a. die weitere Notwendigkeit der Unterstützung der Menschen ohne Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem und besonders der in Griechenland gestrandeten Geflüchteten betont. Die rund 25 anwesenden Solidarischen Arztpraxen und Apotheken wenden sich darin entschieden gegen jegliche Vereinnahmung ‒ auch seitens der Regierung ‒ und betonen ihre demokratischen Entscheidungsstrukturen. (Presseerklärung griechisch hier: http://www.solidarity4all.gr/el/news/5η-πανελλαδική-συνάντηση-κιφα-η-ανάγκη-που-μας-γέννησε-εξακολουθεί-να-υπάρχει ).
Anlässlich der Vorstellung ihrer Aktivitäten durch die Vorsitzende der Sozialen Arztpraxis und Apotheke erhielten wir die Gelegenheit von unserer Initiative und der Zusammenarbeit mit Arta zu berichten. Natürlich erzählten wir auch von unserem Spendenaufruf für Idomeni und unseren Aktivitäten während unseres Besuchs in Griechenland. Aber wir übermittelten auch Informationen über die Situation der Geflüchteten in Deutschland und von den vor dem Rathaus streikenden Geflüchteten in Bochum. (http://www.bo-alternativ.de/2016/04/07/erklaerung-der-gefluechteten-des-protestcamps-vor-dem-rathaus/) Aktuell machten wir in Thessaloniki außerdem auf den mehrsprachigen Aufruf „Trains of Hope“ aufmerksam, der den sofortigen Einsatz der freien Eisenbahn-Kapazitäten der Deutschen Bahn AG auf der Verbindung Athen – Thessaloniki – Berlin fordert, um die Geflüchteten aus Idomeni nach Deutschland zu bringen (http://faktencheckhellas.org/appell/ ).
Am Nachmittag wurden wir von Maria und Haris interviewt. Maria ist Lehrerin und Aktivistin der sozialen Arztpraxis Arta, Haris ist Professor für Ökonomie in Preveza und schreibt Artikel für lokale Zeitungen und gelegentlich für die überregionale Zeitung EfSyn, die nach dem Konkurs der Vorgängerzeitung Eleftherotypia von den Redakteur*innen und Angestellten übernommen wurde und seitdem sehr erfolgreich genossenschaftlich weiter geführt wird. Die Ergebnisse des Gedankenaustausches, in dem es um die Austeritätspolitik und ihre Auswirkungen, die Sozial- und Flüchtlingspolitik, die politische Lage in Griechenland, Deutschland und Europa, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Erfolges rechtsextremer Bewegungen und Parteien sowie um solidarische Initiativen und NGOs in der Sozial- und Flüchtlingsarbeit ging, sollen in lokalen Zeitungen in Arta und möglicherweise in der Zeitung EfSyn publiziert werden.
Insgesamt konnten wir im Zusammenhang mit dem Spendenaufruf für die Flüchtenden in Idomeni vom 1. März in kurzer Zeit ca. 11.300 Euro an Spenden sammeln und diese bis zum 3. April für Flüchtende in Griechenland einsetzen. Das gespendete Geld ist in voller Höhe den Flüchtenden zugutegekommen, die Reise nach Thessaloniki wurden von uns selbst als Mitglieder der Hellas Solidarität komplett privat finanziert. An dieser Stelle bedanken wir uns noch einmal ganz herzlich bei allen Spender*innen und den solidarischen Initiativen in Griechenland.